Wirtschaftsgespräche Ulm/Neu-Ulm

Von Realökonomie und Toiletten

„Quo vadis Wirtschaftsraum Ulm/Neu-Ulm“ – unter diesem Motto lud der Stadtentwicklungs-Verband zu einem Expertenvortrag mit Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher und anschließender Diskussionsrunde. Trotz Herausforderungen wie internationalen Krisen zeigte sich: Ulm steht im Vergleich gut da und kann auf eine stabile Wirtschaft bauen. Doch bei den Themen grüner Wasserstoff, KI und „Musterschüler“ gingen die Meinungen zum Teil auseinander. Trotz Herausforderungen wie internationalen Krisen zeigte sich: Ulm steht im Vergleich gut da und kann auf eine stabile Wirtschaft bauen. Doch bei den Themen grüner Wasserstoff, KI und „Musterschüler“ gingen die Meinungen zum Teil auseinander.

Ulms Oberbürgermeister Martin Ansbacher ist bekannt dafür, stets Optimismus zu verbreiten. Der Vorstandsvorsitzende des Stadtentwicklungsverbands kam kürzlich zurück vom Städtetag in Hannover mit der Erkenntnis, dass „andere Städte gerne nur die Sorgen hätten, die wir in Ulm haben.“ Mit einem guten Branchenmix, der Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft, einer niedrigen Arbeitslosigkeit und hohen Lebensqualität stehe Ulm gut da. Die Auszeichnung der Uni Ulm als Top Standort für Quantenforschung ist ein weiterer Meilenstein. „Unsere Stadt tut was, darf sich aber auch nicht überfordern“, verwies Ansbacher mit Blick auf Großprojekte wie Brückensanierungen. Man dürfe die Herausforderungen nicht klein reden.

Podiumsdiskussion mit Prof. Radermacher, Gabriele Renner, OB Martin Ansbacher,
OB Katrin Albsteiger und Dr. Peter Gluche, moderiert von Karl Spannenberger

 

LEISTUNG STATT WELLNESS
Welche Herausforderungen dies sind, davon sprach Prof. Franz Josef Radermacher, Vorstand des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW/n) und Mitglied des Club of Rome. Angesichts „imperialer Kräfte, die tun, was sie wollen“, sei Europa gezwungen, sich neu und geschlossen u positionieren. Dies bedeute: „Wir müssen in den Leistungsmodus kommen, denn wir sind nicht mehr in einer Wohlfühloase.“ Der Experte war sich sicher, dass von dem Geld, das die Bundesregierung als Sondervermögen bereitstelle, auch etwas in der Region hängenbleibe. Dies gelte es, richtig zu verwalten. Dabei griff er Forderungen von Handwerkskammer und IHK auf, zum Beispiel nach einer Stärkung handwerklicher Berufe gegenüber der universitären Bildung, bezahlbaren Energiekosten und Entbürokratisierung.

Radermacher warnte vor Folgen in KI-Gläubigkeit. „Gerade im intellektuellen Bereich werden durch KI auch auf hochbezahlter Entscheider- und Expertenebene unzählige Jobs wegfallen.“ Man müsse sich fragen, wie Menschen in 20 Jahren ihr Geld verdienen wollen. Radermacher plädierte für Jobs, „in denen Geist und Körper benötigt werden.“ Häufig würde Wunschdenken mit Realökonomie kollidieren. „Als Tech-Unternehmen können Sie eine Software an eine Milliarde Leute verkaufen. Doch wenn Sie eine Milliarde kaputter Toiletten haben, brauchen Sie dafür entsprechend viele Handwerker.“

Dabei eckte der Professor mit mancher seiner Thesen an. Klimawandel sei international ein Geldthema, vor allem durch die Stärkung der Entwicklungs- und Schwellenländer. „Deutschland lebt in einem Klimagefängnis, in dem wir viel Geld ausgeben, ohne international viel zu erreichen,“ so Radermacher. Grüner Wasserstoff werde durch eine Fülle an EU-Regularien womöglich niemals verwirklicht. Er plädierte dafür, sich nicht als „Musterschüler“ aufzuführen, sondern das Geld lieber für etwas anderes zusammenzuhalten.

INVESTIEREN IN DIE ZUKUNFT
Angesichts der Tatsache, dass sich die Region mit seinem Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstofftechnik (ZSW) einen Namen gemacht hat, wollten weder Martin Ansbacher noch seine
Neu-Ulmer Kollegin, Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger, diese Thesen bei der anschließenden Diskussionsrunde so stehen lassen. „Es täte mir persönlich weh, nicht mehr der Musterschüler zu sein,“ witzelte Ansbacher und fügte hinzu, dass von politischer Seite durchaus Ungeduld herrsche, Transformationsprozesse schneller voranzutreiben. Katrin Albsteiger bezeichnete sich als Fan der Technologieoffenheit. „Ich bin mir sicher, dass die Wissenschaft dies lösen wird.“

Neben Radermacher, Ansbacher und Albsteiger waren zwei Vertreter der Wirtschaft bei der Diskussionsrunde vertreten – Dr. Peter Gluche, Geschäftsführer der GFD Gesellschaft für Diamantprodukte mbH, und Gabriele Renner, Geschäftsführerin der pervormance international GmbH. Letzteres Unternehmen sei durch seine klimaneutralen Textilien bei jungen Arbeitnehmern zwar sehr beliebt, doch stellte Renner überzogene Erwartungen in Frage: „Wenn jemand sagt, eine Vier-Tage-Woche in Deutschland sei bezahlbar, frage ich mich, wer das bezahlen soll.“ Die Geschäftsführerin plädierte stattdessen für engagierte Mitarbeiter, Optimismus, Kommunikation und „Menschen, die auch im Blick haben, was andere Menschen brauchen.“ So etwas könne keine KI.

Gluche bewegte als Hersteller von diamantbeschichteten Klingen und Werkzeugen das Thema Energiekosten mit der Forderung, Strom dort erzeugen zu können, wo er auch benötigt werde. Trotz allen Herausforderungen schloss die Diskussionsrunde unter der Moderation von Karl Spannenberger mit einem positiven Blick in die Zukunft. Katrin Albsteiger betonte: „Weder die Industrialisierung, noch die Automatisierung, noch die Digitalisierung haben zum massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen geführt. Der Markt wird zeigen, wo wir künftig Investitionen zu tätigen haben.“ Ulms Oberbürgermeister fügte hinzu: „Wir investieren doppelt so viel wie der Mittelwert anderer Städte.“ Damit wird die Region ihrem Namen „Wirtschaftskraft hoch 2“ vollauf gerecht. dwi