Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer über KI in der Medizin

CuraMed Tagesklinik Neu-Ulm:

Der „Abend zwischen Wissenschaft, Medizin und Begegnung“ im Neu-Ulmer Kunstpark bescherte den Gästen vielfältige Erkenntnisse zur KI, Einblicke in die Räumlichkeiten und einen regen Austausch unter altbekannten (Fach-)Leuten. Dass auch die Verbindung zwischen Gastgeber und Gastredner schon drei Jahrzehnte währt, trug im Venet Haus zum vertrauten Dialog auf Augenhöhe spürbar bei.

Seine Heimat sei das sonnige Teneriffa, dessen Sonne und Meer sowie der höchste Berg Spaniens extrem antidepressive Eigenschaften aufweise. Prof. Dr. med. Carlos Schönfeldt-Lecuona, seit Januar 2025 Chefarzt der CuraMed Tagesklinik, vermittelte schon mit diesem Einstiegssatz einiges von dem, was die Besucherinnen und Besucher bei den geführten Rundgängen durch die Gebäude entdecken konnten. Farben und Licht, Ruheinseln und Spielerisches, und dann als Highlight der Blick vom Gym auf das Münster am Abendhimmel: „Patienten lieben diesen Ausblick und kommen dann besonders gerne zum Sporttreiben“, so der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit einem Schmunzeln im Gesicht.

Seine Klinik bietet ein breites Behandlungsspektrum in den Bereichen Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie mit besonderem Fokus auf chronische Schmerzen, depressive- und Angsterkrankungen, Tinnitus sowie Sportpsychiatrie und -psychologie. Die Patientinnen und Patienten erwartet ein ganzheitliches Behandlungskonzept sowie Wochenpläne, die viel Zeit für Einzelgespräche, soziale Kompetenztrainings, Resilienz, Psychotherapie, Sport und Bewegung in der Natur vorsehen.

Anlässlich seiner Ernennung zum Chefarzt luden Schönfeldt-Lecuona und sein multiprofessionales Team nun nicht nur interessierte Gäste ein, sondern auch einen engen Wegbegleiter: „Fast 28 Jahre lang habe ich mit Manfred Spitzer zusammengearbeitet, erst als Assistenzarzt, dann als Fach- und Oberarzt sowie später als Kollege an der Uni Ulm.“ Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer war ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und baute zudem das „Zentrum für Neurowissenschaften und Lernen“ (ZNL) auf. Seine Forschung und Publikationen prägen seit Jahren die Diskussion über Digitalisierung, Lernen und mentale Gesundheit und machten ihn einem breiten Publikum bekannt.

An dem Abend Mitte Oktober stellte (und beantwortete) der Professor dem Publikum die Frage: „Künstliche Intelligenz in der Medizin – Was ist das und warum geht uns das alle an?“ Dabei warf er erst einmal einen Blick auf die menschliche Intelligenz, und wie sich das Wissen übers Gehirn verändert hat. „Als ich vor 41 Jahren in der Psychologie angefangen habe, war unvorstellbar, dass wir im Laufe der nächsten Jahrzehnte das Gehirn komplett an- und durchschauen werden können.“ Heute lassen sich die Funktionen des Gehirns mittels funktioneller Bildgebung genau beobachten und so auch entscheiden, welche Behandlung bei welchem Patienten die jeweils Beste sei.

„Für die Auswertung von Bildern zieht die Medizin heute in allen Fachbereichen künstliche Intelligenz hinzu.“ Vor 60 Jahren habe es übrigens schon erste Schritte gegeben, mit der künstlichen Gesprächs-Psychotherapeutin „Eliza“. Sie habe kleine Botschaften von je 420 Zeichen seriell verarbeiten können. „Heute meint KI lernende Maschinen mit simulierten Neuronen. Und obwohl das I ja für Intelligenz steht, geht es hier eher um Intuition, denn die KI baut nicht auf Algorithmen auf.“ Auch dadurch stelle die KI, die mittlerweile in so vielen Feldern quer durch alle Branchen erfolgreich eingesetzt wird, die Menschheit vor viele Fragen. „Im Jahr 2016 haben Forscher um Demis Hassabis, britischer KI-Forscher und Gründer des Start-ups DeepMind Technologies, ein neuronales Netzwerk das jahrtausendalte chinesische Spiel „Go“ anhand von 50.000 Partien trainieren lassen.“ Kurz danach habe die KI den damaligen Weltmeister schon besiegt. „Bis heute wissen die Go-Experten nicht, wie die Maschine das macht, da Go doch ganz viel mit Intuition zu tun hat“, so der Neurowissenschaftler, Psychiater und Psychotherapeut Spitzer.

Demis Hassabis habe damals das Ziel ausgegeben, „erst die Intelligenz und dann alle Probleme zu lösen“. Anfangs sei er dafür belächelt worden, mittlerweile haben seine neuronalen Netzwerke solch bahnbrechende Vorhersagen der Proteinstrukturen geliefert, dass Hassabis im letzten Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde.

„Die KI ist uns in vielen Bereichen überlegen, sie ist oft besser oder schneller, und manche Herausforderungen wie den Klimawandel werden wir nur mit ihr lösen können“, so Manfred Spitzer. Auch in der Medizin sei der Einsatz von KI explosionsartig angestiegen. „Sie ist uns mit ihrer Fähigkeit, Daten zu sammeln, auszuwerten und zusammenzuführen weit überlegen.“

Zur besten Diagnose komme es aber erst in Kombination mit dem Facharzt: „KI und Mensch machen unterschiedliche Fehler. Im Zusammenspiel ergänzen sie sich optimal, weshalb die treffendste Diagnose die ist, die von der KI und beispielsweise einem Dermatologen gestellt wurde.“ Dies hätten auch die Patienten verstanden und wünschten sich daher meistens „einen Arzt, der KI zu Hilfe nimmt.“ Momentan würden weltweit so viele Daten gesammelt, dass es zukünftig sehr viel einfacher sei, Zusammenhänge zu erkennen und Krankheiten vorauszusagen.

Natürlich gebe es auch klare Grenzen, Risiken und Nachteile: „Die Ergebnisse der KI sind nur so gut wie das Setting, mit dem sie trainiert wurde.“ So übernehme die KI alle Fehler und Vorurteile, die in Daten stecken können. „Die Erkennung von Hautflecken und ihre Interpretation von Gut- oder Bösartigkeit funktioniert nicht zuverlässig auf dunkler Haut, wurde die KI doch nur mit Aufnahmen auf heller Haut trainiert. Das ist Diskriminierung, die zudem zu falschen Diagnosen führt.“ Kriminell eingesetzt, könne die KI außerdem Horrorszenarien wahr werden lassen. So habe es am Massachusetts Institute of Technology (MIT) einen Versuch gegeben, in dessen Rahmen eine hocheffiziente, biologische Waffe entwickelt werden sollte. „Die Forscher haben nur eine Stunde dafür gebraucht, und es gab genügend Firmen, die bereit waren für die Produktion – ohne Rückfragen zu stellen.“

Grundsätzlich könne man beobachten, dass die KI vielen Menschen das kritische Denken abgewöhne, „je jünger, desto häufiger. Daher ist der Einsatz von KI an Schulen die dümmste Idee, die es gibt. Lagern wir die geistige Arbeit aus, dann tut sich nichts mehr in unseren Gehirnen, wir bleiben an der Oberfläche, erinnern uns kaum an Inhalte, sind nicht mehr kreativ.“ Über alle Einsatzmöglichkeiten hinweg gelte es daher, den passenden Kontroll- und Regulierungsrahmen zu schaffen. Eine Aufgabe, für die Europa und speziell Deutschland wie gemacht sei, so Manfred Spitzer: „Unsere Ingenieurskunst und die KI ergänzen sich optimal.“

Die rund 70 Gäste, viele von Ihnen Ärzte oder Psychotherapeuten, nahmen die Erkenntnisse und Ermahnungen rund um KI sichtbar interessiert mit in die zweite Abendhälfte und diskutierten kritisch weiter – ganz ungekünstelt und analog auf dem Gesundheitscampus in Neu-Ulm. cra
Fotos: CuraMed